Freitag, 28. September 2012

Terroir: Weinkultur und Weingenuss in einer globalen Welt von Reinhard Heymann-Löwenstein

Wein ist von Beginn an mehr als nur ein Getränk gewesen. Heute dominieren technisch perfekt gemachte, genormte Weine den Markt. Sie wecken bei vielen zunehmend die Sehnsucht nach ehrlichen, authentischen "kulturbeseelten" Weinen, nach "Terroirwein", der durch das schöpferische Zusammenspiel von Lage, Reben, Klima und der Kunst des Winzers entsteht. Reinhard Heymann-Löwenstein zeigt kenntnisreich und geistvoll die kulturgeschichtlichen, mythologischen und philosophischen Aspekte des Weins. Und er plädiert für eine neue Weinkultur, für "Terroir" als Gegenbewegung zu industrialsiertem Fastfood in der Weinwelt.




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5.0 von 5 Sternen In der Höhle des Löwensteins 1. Juni 2009
Format:Gebundene Ausgabe
"Terroir, Plädoyer für eine neue Weinkultur" heißt das Buch, Reinhard Löwenstein der Autor. Da darf man sich auf einiges gefasst machen. Einen Kreuzzug gegen die Coca Cola-Weine, eine Philippika gegen Vermassung und Technisierung, eine flammende Rede für das Ursprüngliche, Natürliche im Weinbau.

Von wegen! So einfach macht Reinhard Löwenstein es sich nicht. Das Buch ist vielmehr überraschend neutral und absolut sachlich. Mit großer Zielsicherheit werden oberflächliche Vorurteile demontiert. Fast schon mit Freude an der Desillusionierung, an der Zerstörung liebgewordener Gemeinplätze seziert Löwenstein Begriffe wie "natürlich" oder "naturbelassen". Der Wein mag ein Kulturgut sein, so seine These, doch komme in dieser Bezeichnung schon zum Ausdruck, dass die Rebe kultiviert werden will, d.h. eben gerade nicht naturbelassen bleibe. Welche dieser kultivierenden Eingriffe dann noch "natürlich" seien und welche artifiziell, lasse sich allenfalls willkürlich festlegen, einen objektiven Maßstab gebe es dafür nicht. Auch wenn sich bei dem einen oder anderen technischen Verfahren der Moderne die Nackenhaare stärker sträuben mögen als bei jahrhundertlang bewährten Techniken, sei allein die Tradition noch kein Argument für Natürlichkeit.

Mit der gleichen Klarheit geht es dem "Biowein" an den Kragen. Auch hier stellten sich die gleichen Abgrenzungsschwierigkeiten, da selbst die biologischsten Winzer zwischen Rebstock und Weinflasche zumeist nicht völlig auf Schwefelung oder andere chemisch-physikalische Eingriffe verzichten könnten. Und so sieht Löwenstein - wer hätte das gedacht - selbst spinning cone column und andere hochmoderne Bearbeitungstechniken keineswegs nur kritisch. Es braucht auch Massenwein, meint er. Und von dieser Erkenntnis ausgehend, besitzt er die Größe zu der zumindest unter Weinfreaks politischen Unkorrektheit, zunächst einmal nichts zu verdammen, was das Massenprodukt besser machen könnte. Wichtig sei allein die Ehrlichkeit in der Kommunikation. Wer auf Pellets und Ähnliches zurückgreift, soll wenigstens nicht behaupten, seine Weine seien im Barrique gelagert.

Selbst das geliebte Terroir wird relativiert. Was das denn eigentlich sei, fragt Löwenstein. Und kritisiert, dass der Begriff zumeist auf den Boden verengt wird, obwohl doch auch Klima, angebaute Rebsorte und Umgang des Menschen/Winzers mit dem Wein(berg) erheblichen Einfluss nähmen. Und selbst die Betrachtung des Bodens führe nicht automatisch zu klaren Ergebnissen - man kann natürlich rein nach der Lage z.B. von einem Uhlen-Terroir sprechen, kann aber auch weiter aufdröseln in die einzelnen geologischen Teile des Uhlen, dann gäbe es ein Blaufüßer Lay-, ein Laubach- und ein Roth Lay-Terroir. Und selbst da muss nicht Schluss sein - wer hinderte uns daran, das noch weiter aufzugliedern, bis dann irgendwann fast jede Flasche ihr Terroir hat? Löwenstein selbst, der meint, irgendwann müsse schließlich Schluss sein.

Der Rückgriff auf das Beispiel des Uhlen ist übrigens fast der einzige Exkurs auf den eigenen Weinkosmos in Winningen, den Löwenstein sich erlaubt. Ansonsten enthält sein 170 Seiten starkes Werk weder Eigenwerbung, noch finden sich die sonst so beliebten Hinweise - "ich mache da in meinem Weinberg ja grundsätzlich wie folgt, und der Erfolg bestätigt mich...". Ein angenehmer Verzicht auf Sendungsbewusstsein erlaubt nicht nur eine besonders nüchterne Betrachtungsweise, sondern öffnet auch die Tür zu einem wunderbar leichtfüßigen, essayistischen Stil - jederzeit humorvoll und gelegentlich auch ein wenig bissig geschrieben, natürlich, soweit kann sich Löwenstein nicht verleugnen. Wie er beispielsweise Steiner und anthroposophische Lehren auseinanderpflückt, ist ein wahres Vergnügen.

Die Kehrseite dieser Nüchternheit ist allerdings, dass der Titel des Werkes ein wenig Lügen gestraft wird. Denn ein echtes Plädoyer findet man in diesem Buch höchstens zwischen den Zeilen. Und es ist eines, an dem der eine oder andere Schwarzweißmaler schwer zu kauen haben wird. Denn Löwensteins Credo scheint zu sein, dass grundsätzlich zwar der Begriff des Terroirs einen Weg in die Zukunft weisen kann, jedoch ist dieser Weg keine durch Baumreihen abgegrenzte Allee, sondern eher ein verschlungener Pfad. Natürlich sei eine Lagenklassifikation sinnvoll, gibt er zu. Und natürlich gebe es einen Unterschied zwischen Massenware und dem qualitativ hochwertigen Produkt, das sich bei Löwenstein vor allem durch jene Individualität auszeichnet, die durch einen weiten Terroirbegriff geprägt wird (also wieder Boden, Rebsorte, Klima und menschliche Handhabe der Technik). Aber klare Regeln, was erlaubt sein soll und was verboten, was richtig und was falsch, die soll es nicht geben. Ehrlichkeit und Transparenz sind wichtig, alles andere, so ergibt sich aus dem Epilog, einem Dialog zwischen Dionysos und Apoll, werden hoffentlich die Menschen richten - durch kluge Entscheidungen bei der Weinbereitung auf Winzerseite und auf Qualität und Individualität zielende Nachfrage auf Kundenseite. Nicht umsonst wird Zhuangzi zitiert: Der wahre Reisende weiß nicht, wohin die Reise geht.

Er hätte es uns wirklich einfacher machen können, der Schieferflüsterer aus Winningen. Aber so ist er halt, unberechenbar und dabei in jeder Zeile immer voller Hingabe an den Wein. Ich habe das Buch jedenfalls nicht aus der Hand legen können und es in einem Zug verschlungen. Unklar ist nur, welcher der drei Uhlen dazu am besten passt.
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